Auf der Suche nach dem tieferen Sinn

(NZZ)

PR-Berater, Bischofssprecher, Familienmensch, Buchautor: Giuseppe Gracia wandelt in mehreren Welten. Seit Anfang Jahr hat der 44-jährige St. Galler die Aufgabe, das Bistum Chur mit Bischof Vitus Huonder besser darzustellen.

Von Jörg Krummenacher, St. Gallen

Secondo. Emigrantenmilieu. Heimisch und fremd. Giuseppe Gracia kam 1967 als Sohn eines Sizilianers und einer Spanierin in St. Gallen zur Welt. Seine Erfahrungen verarbeitete er in drei Büchern: «Riss» (1995), «Kippzustand» (2002), «Santinis Frau» (2006). Derzeit schreibt er zwei Tage die Woche an einem, wie er sagt, seelischen Ökothriller, eine Arbeit, die ihm wie befreites Schreiben vorkomme, da es nicht mehr aus dem vertrauten Emigrantenmilieu schöpfe, sondern von einem Thema handle, das er sich neu erschliessen müsse: vom seelischen Müll der Wohlstandsmenschen, dich sich, ohne es zu merken, selbst vergifteten.

In den Beizen

Weiterhin lebt Gracia, der Buchautor, Ehemann, Vater zweier Kinder, in St. Gallen. Zum Gespräch treffen wir uns im «Concerto», einem Restaurant bei Tonhalle und Theater. Gracia kennt sich aus in den Gaststätten der Gallusstadt. Dort sass er jahrelang herum, debattierte, politisierte, philosophierte. Im «Schwarzen Engel», einer Genossenschaftsbeiz, schrieb er grosse Teile seines zweiten Romans.

Doch nicht der Autor Giuseppe Gracia steht derzeit im Fokus, sondern seine berufliche Aufgabe, die er seit Anfang Jahr im 70-Prozent-Pensum ausübt. Er ist bischöflicher Beauftragter für Medien und Kommunikation im Bistum Chur, sitzt dort im Bischofsrat.

Die Welten des Giuseppe Gracia scheinen, oberflächlich betrachtet, nicht zusammenzupassen: das Milieu der Gastarbeiter und Alternativen, des Journalistenberufs, den er kurzzeitig ausübte, des PR-Beraters, der im Fürstentum Liechtenstein Mandate für Firmen innehatte, des Kommunikationschefs im Bistum Basel ab 2008, nun des Sprechers von Vitus Huonder, dem umstrittensten Bischof im Land. – Einige Freunde, erzählt er, schauten ihn tatsächlich komisch an, seit er das mache, auch innerhalb der Kirche habe der Wechsel vom Bistum Basel nach Chur Verwunderung ausgelöst.

Keine innere Leere mehr

Er selbst aber findet nichts Ungewöhnliches daran, sich in unterschiedlichen Lebenswelten zu bewegen, hält es geradezu für spannend, als Kommunikationsberater jemanden wie Bischof Vitus Huonder, den er in der Öffentlichkeit oft falsch dargestellt sieht, zu betreuen.

Als PR-Berater für Unternehmen habe er wohl gutes Geld verdient, doch habe ihn die Arbeit innerlich leer gelassen, habe ihm der tiefere Sinn gefehlt. Für seine Biografie mag gelten, was in einer Rezension über «Santinis Frau» stand: Existenzielles Nachdenken ist so gut eingefügt wie die Lebenswirklichkeit von Fremdarbeitern.

Die Kontakte zur Kirche hatten sich, erst nach Basel, dann nach Chur, im Rahmen seiner Mandate ergeben. Gracia ist Katholik und gläubig. Er mag Widersprüchlichkeiten, die Auseinandersetzung mit anderen Haltungen; wiederholt kommt er auf Thesen des deutschen Philosophen Jürgen Habermas zu sprechen.

Das Theologiestudium allerdings, das er 2007 aufgenommen hat, liegt derzeit mangels Zeit auf Eis.

Kaum hatte er Anfang Jahr seine neue Stelle in Chur angetreten, fand sich der neue Kommunikationsbeauftragte inmitten von Verwerfungen: Der Leiter des Priesterseminars, Ernst Fuchs, demissionierte ebenso wie der Generalvikar für Graubünden, Andreas Rellstab, wegen schwerwiegender sachlicher Differenzen mit Bischof Huonder. Dieser musste nach Protesten davon absehen, den umstrittenen Generalvikar Martin Grichting als Weihbischof vorzuschlagen.

Grundspannung bleibt

Inzwischen haben sich die Wogen geglättet, die Grundspannung ist jedoch geblieben, die Erosion der Kirche nicht gestoppt. Augenfällig sind Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem an weltkirchliche Vorgaben gebundenen Bischof und den für die Steuergeldverwaltung verantwortlichen staatskirchenrechtlichen Gremien. Giuseppe Gracia bedauert, dass dabei «statt über Struktur- oder Sachfragen zu debattieren, gern auf Personen gespielt wird». Seine vordringlichsten Aufgaben sieht er deshalb darin, die Positionen Huonders besser zu vermitteln, Transparenz zu schaffen und schliesslich die zentrale Botschaft zu vermitteln. «Für mich», sagt Gracia, «gibt die Kirche dem Glauben weltweit eine Heimat und den Schwachen eine Stimme.»

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