«Wir stecken in der Falle»
(Beobachter)
ISLAMISMUS IN DER SCHWEIZ
Ein Terroranschlag und alle starren hin – das neue Buch von Giuseppe Gracia provoziert. Helfen nur noch neue Gesetze gegen den politischen Islam?
Von Reto Stauffacher
«Der Anschlag auf Charlie Hébdo hat mich zu diesem Roman inspiriert», sagt Giuseppe Gracia. Der Buchautor, besser bekannt als Sprecher von Bischof Vitus Huonder, will an diesem Abend in Zürich über seinen neuen Roman «Der Abschied» diskutieren. Gracia sagt: «Nach Charlie Hébdo habe ich verstanden, worum es den islamistischen Terroristen geht. Sie wollen nicht in erster Linie Menschen, sondern unsere geistige Haltung töten.»
Die Kapitalismuskritik des Terroristen
Gracia erzählt aus der Ich-Perspektive, wie er in einem Berliner Kulturzentrum einer Geiselnahme eines Terroristen beiwohnt. Dabei rechnet der Protagonist ebenso mit der dekadenten westlichen Gesellschaft ab wie der Terrorist selbst. Er führt die Raffinesse vor, wie sich der Islamismus mit linker Kapitalismuskritik schmückt. Das tönt dann im Buch aus dem Mund des Terroristen Hamed S. beispielsweise so: «Wir führen einen Kampf gegen die Degradierung des Menschen zur globalisierten Ware.» Oder der Ich-Erzähler denkt sich: «Ich überlege, ob unsere Jungterroristen den Westen nicht einfach durchschauen: unsere unter der glänzenden Oberfläche doch recht geistlose Hamsterrad-Existenz.»
Gracias Roman ist eine kulturpessimistische Schrift, die teilweise kaum erträglich ist – vor allem dann nicht, wenn er detailliert beschreibt, wie ein ägyptischer Philosoph vor den Augen aller Geiseln und live im TV übertragen mit einem Schwert geköpft wird oder zwei schwule Modeschöpfer zu Tode geprügelt werden. Doch die Fragen, die er stellt, sind hochbrisant und aktuell: Auf welche Ideologie baut der Islamismus? Und wie können wir ihn bekämpfen?
Nicht kompatibel mit der westlichen Welt
Darüber diskutierte Gracia unter der Leitung von Beobachter-Chefredaktor Andres Büchi mit CVP-Präsident Gerhard Pfister und Islam-Expertin Saïda Keller-Messahli. Die Diskussionsteilnehmer teilten die Globalisierungskritik grösstenteils. Doch sei es unabhängig davon vor allem der politische Islam, der nicht kompatibel sei mit einem liberalen Rechtsstaat, betont Keller-Messahli: «Es gibt vor allem in linken Kreisen den Reflex, die Minderheit des Islam zu beschützen. Dabei hat vor allem der politische Islam eine Agenda, die sehr gefährlich ist für uns und für die Mehrheit der Muslime.»
Alle Redner betonen in diesem Zusammenhang, dass nicht die Muslime als Menschen kritisiert würden, sondern die Ideologie des Islam an sich sowie die daraus erfolgte islamistische Strömung. Die bei uns eingeführte Trennung zwischen Kirche und Staat sei in dieser Religion noch nicht vorhanden, und das sei gefährlich. Als Illustration wird vorgebracht, dass jeder islamische Staat die Konvention der Menschenrechte nur unter der Bedingung akzeptiert hat, dass jede Passage nur dort gilt, wo sie die Scharia nicht tangiert.
Die Gesprächsteilnehmer
Unter der Leitung von Beobachter-Chefredaktor Andres Büchi diskutierten…
- Giuseppe Gracia (1967), Schriftsteller und PR-Berater für das Bistum Chur. Er ist Autor des Romans «Der Abschied», der von einem fiktiven islamistischen Terroranschlag in Berlin handelt.
- Saïda Keller-Messahli (1957), Präsidentin vom Forum für einen fortschrittlichen Islam. Mehrmals nominiert für den Prix Courage. 2016 hat sie den Schweizer Menschenrechtspreis der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte erhalten.
- Gerhard Pfister (1962), Nationalrat aus Zug und Präsident der CVP.
Giuseppe Gracia: «Der Abschied»
An der Grenze zwischen Leben und Tod, zwischen Erinnerung und Traum erlebt der Erzähler den Trip seines Lebens, als er mit seinem besten Freund, dem Regisseur Lichtenberger, einen Berliner Kultur- anlass besucht, der von islamistischen Terroristen gestürmt wird. Live übertragen ins Internet, werden die Opfer mit Schwert und Maschinenpistole hingerichtet, während der Erzähler unter den Geiseln plötzlich seine vor Jahren verstorbene Frau entdeckt. Bucher-Verlag 2017, 112 Seiten, CHF 13.50.
Bessere Überwachung und ein Kopftuch-Verbot?
Als grosses Problem in der Schweiz werden die Vorgänge innerhalb der rund 300 Moscheen identifiziert: «Wir müssen wissen, was dort gepredigt und besprochen wird», fordert Pfister. «Gehen dort Dinge vor, die gegen unseren demokratischen Rechtsstaat gerichtet sind, dann ist das ebenso zu unterbinden wie rechts- oder linksextremistische Veranstaltungen.» Die freie Meinungsäusserung habe an diesem Punkt seine Grenze. Auch Keller-Messahli sieht gerade hier Handlungsbedarf: «Mehr als 80 junge Menschen sind bis heute aus der Schweiz nach Syrien oder Irak in den Dschihad gezogen. Das sollte uns zu denken geben.»
Um unsere Werte zu verteidigen, helfe allerdings kein Gesetz, ist Pfister überzeugt: «Wenn sich ein Schüler weigert, der Lehrerin die Hand zu geben, dann sind dieser Schüler und seine Familie offensichtlich nicht integriert.» Bei solchen Vorfällen seien Politik und Gesellschaft ebenso gefordert wie die Schule. Hier gehe es um Integration.
Keller-Messahli hat dazu ihre Forderung nach einem Kopftuch-Verbot an öffentlichen Schulen nochmals bekräftigt: «Diese Markierung hat eine verheerende Wirkung. Das Mädchen wird ausgeschlossen von anderen Gruppen und es wird sexualisiert.» Denn das Kopftuch markiere, vor allem für Islamisten, eine Warnung vor dem weiblichen Körper. Und das gehöre nicht in die Schweiz. Ein Burka- oder Minarettverbot dagegen, da waren sich Pfister und Keller-Messahli einig, sei eines liberalen Rechtsstaats nicht würdig.
Freiheit und Sicherheit abwägen
Das zentrale Dilemma der Diskussion brachte CVP-Präsident Pfister auf den Punkt: «Die Freiheit ist unsere grösste Stärke. Und gleichzeitig unsere grösste Schwäche.» Das Wesen eines liberalen Rechtsstaats bestünde ja gerade darin, dass jeder so leben könne, wie er es für richtig halte. Um die Freiheit zu beschützen, brauche es mehr Sicherheit, so der Zuger Nationalrat. Doch gleichzeitig bedeute mehr Sicherheit auch, dass die Freiheit beschnitten werde. «Und genau darin zeigt sich die Falle, in der wir stecken.»