Gracias Buch hätte einen ordentlichen Skandal verdient
(Südostschweiz)
«Der Abschied» heisst der neue Roman von Giuseppe Gracia, dem Mediensprecher des Bistums Chur. Er bietet eine zutiefst verstörende Lektüre und ist eine Zumutung – im besten Sinne des Wortes.
von Christian Ruch
Der grosse Skandal ist ausgeblieben, bis jetzt zumindest. Liegt das daran, dass Giuseppe Gracias Roman «Der Abschied» nicht einmal 115 Seiten hat? Oder daran, dass man jemanden, der als Sprecher des umstrittenen Churer Bischofs Vitus Huonder amtet, sowieso nicht ernst nimmt?
Jedenfalls hätte «Der Abschied» einen ordentlichen Skandal in Form gepflegter Feuilleton-Erregung durchaus verdient. Und zwar, weil Gracia ein kleines Meisterwerk geglückt ist. Nur schon, dass es ihm auf so wenigen Seiten und gleichwohl mit grosser Tiefenschärfe gelingt, gleich zwei schwierige Themen abzuhandeln, ist ein Kunststück.
Da ist zum einen der islamistische Terror, den Gracia als eine wahre Blutorgie inszeniert, die live übertragen wird. Insofern denkt der Autor die oftmals perfekte Dschihadisten-Dramaturgie konsequent weiter. Zum andern geht es aber auch um den Abschied von der Frau des Ich-Erzählers, die sich das Leben genommen hat. So gerät der Suizid der Partnerin in einen spannenden Kontrast zu den sogenannten «Selbstmord-Attentätern».
Ekel an der Zivilisation
Das Skandalon und die Zumutung des Büchleins bestehen nun darin, dass Gracia die Terroristen nicht als verblendete, bildungsferne Verlierer darstellt, sondern als reflektiert Handelnde, die mit ihrem Terror die Ehre Gottes wiederherstellen wollen. Ob Gracia bemerkt hat, dass er die Dschihadisten damit in die Nähe christlicher Fundamentalisten rückt, wäre eine spannende Frage. Denn man täusche sich nicht: Es gab auch «rechtgläubige » Christen, die jubelten oder zumindest Bewunderung äusserten, als 2001 die New Yorker Twin Tower in sich zusammensackten.
So wird man bei der Lektüre das Gefühl nicht los, dass Gracia ansatzweise so etwas wie einen seltsam scheuen Respekt für den Islamismus verspürt. Insofern erinnert «Der Abschied » an Michel Houellebecqs heiss diskutierten letzten Roman «Unterwerfung ». Überhaupt Houellebecq: Dass Gracia ein Verehrer des französischen Star- und Skandal-Autors ist, verrät er bis in seine Sprache.
Mit Houellebecq teilt Gracia den Ekel an einer durch die Säkularisierung sinnentleerten westlichen Zivilisation, die angeblich nur noch der Gesinnungsterror der Political Correctness zusammenhält. Sie hat Gracia in letzter Zeit immer wieder öffentlich kritisiert, und das tut er auch in seinem Roman. Er schreibt von «Denkverboten der Kultur- und Medienszene», er brandmarkt Feminismus und Liberalismus als «eine massenhysterische Pubertät», als eine «Erregung von Halbwüchsigen, die gegen das jüdisch-christliche Fundament ihres Elternhauses anrammelten »,und er wettert katholisch korrekt gegen den «Fleisch- und Blutregen» der Abtreibungskliniken.
Dazu passt, dass auch Gracias Arbeitgeber, der Churer Bischof, einen Gastauftritt hat, ausserdem ein Bischofsvikar, der bei näherer Kenntnis der Bistumsleitung an Martin Grichting erinnert.
Christliche Botschaft
Zum Glück ist Gracias Furor gegen die Verderbtheit der Welt nicht so blindwütig, dass er nicht auch noch sehr zarte Worte für die gescheiterte Liebe fände, von der «Der Abschied» eben auch erzählt. Eigentlich durchzieht das Buch eine eigenartige Schwermut, sodass nicht nur die Verachtung unserer Gesellschaft leitmotivisches Gefühl ist, sondern auch die Trauer über die immensen persönlichen und gesellschaftlichen Verluste einer Epoche, die nur noch zerstörte Menschen hinterlässt. Der Gang ans Gleis und der Sprung vor den Zug sind da nur die logische Konsequenz.
Und doch leistet die Liebe, wenngleich wahrscheinlich unmöglich geworden, verzweifelt Widerstand gegen die verschiedenen Formen des täglichen Terrors. Nicht zuletzt diese zutiefst christliche, aber ohne alle Frömmelei auskommende Botschaft macht Gracias Roman so wertvoll. Dass bereits die zweite Auflage gedruckt werden musste, kommt nicht von ungefähr.
Giuseppe Gracia: «Der Abschied».
Bucher-Verlag. 112 Seiten.
16.50 Franken.