Wir leben in verrückten Zeiten

(Die Tagespost)

GRÖSSENWAHN

„Der Tod ist ein Kommunist“: Am 1. Juli erscheint ein neues Buch von Giuseppe Gracia. Es soll gute Laune verbreiten.

Von Stefan Meetschen

Herr Gracia, 3, 57 Million Corona-Tote weltweit. 10.826 allein in der Schweiz. Ohne Lockdown und andere Schutzmaßnahmen hätte die Corona-Pandemie vermutlich noch mehr Menschenleben gekostet. Und nun schreiben Sie eine Satire namens „Der Tod ist ein Kommunist“, in der relativ häufig vom Impfen die Rede ist …

Eine Figur im Roman hat Angst davor, dass die Impfung zu einer Zweiklassengesellschaft führt. Aber eigentlich geht es nicht um Corona, sondern um den Umgang unserer Gesellschaft mit Krisen. Nach über einem Jahr lähmender Lockdowns wollte ich etwas gegen Demokratiemüdigkeit und Pessimismus schreiben. Gute Laune verbreiten, zum Lachen reizen.

Sie sind bislang nicht an Corona erkrankt, hatten sich aber, wie Sie im Nachwort Ihres Buches schreiben, während des Lockdowns eine „Depression“ zugezogen, aus der Sie sich dank des Schreibens befreien konnten. Schreiben als Selbsttherapie?

Eine literarische Arznei gegen düsteren Moralismus, ja. Gegen die Gefahr eines neuen Totalitarismus im Namen der Volksgesundheit, oder im Namen des Klimas. Ich mache mich lustig über den Größenwahn von Politikern und Globalisten, die glauben, sie müssten den Menschen Angst machen, um ihre Programme durchzukriegen. Oder Superreiche, die glauben, sie seien gescheiter als der Mann auf der Straße, ja, sie seien gescheiter als Gott und wüssten, wie sich die Menschheit verbessern lässt.

„Ich persönlich würde an Benedikt XVI. erinnern und sagen: Glaube und Vernunft gehören zusammen.“

Düsterer Moralismus, Gefahr eines neuen Totalitarismus, Globalisten … Ihr großer Landsmann C.G. Jung würde bei Ihnen vielleicht katholische Projektionen diagnostizieren. Sind Sie ein „Querdenker“? Ein Querbeter?

Es ist ein alter Trick der Macht, Kritiker zu pathologisieren, sie als Irrationale und Radikale darzustellen, auf die man nicht hören muss. In der politischen Auseinandersetzung diffamiert man gerade in Deutschland gern Kritiker des Mainstreams. Wer zum Beispiel bei Themen wie Klima, Migration oder Gender das linksgrüne Narrativ verlässt, gilt sogleich als rechts, reaktionär. Coronaleugner, Klimaleugner, LGBT-Hasser, Rassist. Bösartige Etiketten, um Abweichler als moralisch dubios zu brandmarken und aus dem Diskurs zu verabschieden.

Kommen wir doch noch einmal auf das Impfen zurück: In bestimmten Kreisen wurde Covid-19 von Anbeginn verharmlost, der Wert des menschlichen Lebens relativiert. Schließlich wurden die Impfstoffe dämonisiert. In Ihrem Text spielt das Impfen auch eine Rolle. Worum geht es Ihnen bei diesem Motiv?

Ich habe aktuelle Verschwörungstheorien genommen und sie zu einer, wie ich hoffe, unterhaltsamen Handlung verwoben. Wie bei einem 007-Film, kombiniert mit Indiana Jones und einer romantischen Liebe. Ich glaube sehr an die Romantik. Ich fürchte, ich bin hoffnungslos altmodisch.

Im Roman gibt es eine Frau, die durch die Zeit reist.

Sie heißt Nathalie und hat grüne Augen. Sie kommt aus der Zukunft, um die Welt zu retten. Um den Mann zu treffen, den sie liebt – im Wissen, dass sie nicht mehr in ihre Zeit zurückkehren kann. Eine Liebe, die alles riskiert, sich ganz verschenken will.

Sie bezeichnen Ihren Text als „literarische Actionkomödie“ mit „Zeitreisen, dunkler Magie, Kalaschnikows, Geheimlogen und einem romantischen Knaller-Finale, bei dem es um die Rettung der Menschheit geht“. Ist das alles nur Camp oder wollten Sie damit – frei nach Dürrenmatt – die Welt auf besonders groteske Weise beschreiben?

Ich bin ein Dürrenmatt-Fan, ja. Er ist ein Genie der satirischen Zuspitzung. Aber ich teile nicht seinen Pessimismus. Mit Blick auf die Evolution sagte er einmal, die Menschheit habe auf der Erde vorgesprochen und sei durchgefallen. Als Katholik glaube ich das nicht. Mein Buch lebt von der erlösenden Kraft der Liebe. Es ist eine Absage an jede Art von Untergangsstimmung.

In Ihrem Text kämpfen die „Kinder des Lichts“ gegen die „Kinder der Schlange“. Wo befindet sich die von vielen Skandalen geschüttelte Organisation Kirche, die wie die sogenannten „Globalisten“ auch einen universalistischen Anspruch hat, zurzeit auf diesem Kampffeld?

Die Kirche als Institution kommt im Buch eigentlich nicht vor. Das war beim Schreiben keine Absicht, aber im Nachhinein muss ich sagen, dass es doch passt. Im Buch geht es um aktuelle Gesellschaftstrends. Um einen Kulturkampf zwischen der personalen, jüdisch-christlichen Tradition und einem neuen, globalistisch-technizistischen Denken mit Genderstern. Es geht um Reproductive Rights, Digitalisierung, Transhumanismus. Zu diesen Dingen haben die Amtsträger der Kirche wenig zu sagen.

Die Kirche ist abgehängt?

Großteile des kirchlichen Apparats, ja. Die sind mit sich beschäftigt, mit Konferenz- und Synodenpapieren, mit endlosen Reformdiskussionen zwischen Zölibat, Frauenquote und Selbst-Säkularisierung. Ein institutioneller Narzissmus, der den Menschen außerhalb kirchlicher Strukturen nichts bringt, der auch niemandem dabei hilft, eine Beziehung zu Gott aufzubauen.

Woran liegt das?

Ich glaube, die meisten Bischöfe sind vom eigenen Apparat so absorbiert, dass sie kaum Zeit haben für einen tieferen Blick auf Probleme der Gesamtgesellschaft, auf unsere säkulare High-Tech-Kultur, die gerade dabei ist, ihr menschliches Gesicht zu verlieren. Viele Kirchenleute scheinen, wenn sie vom Menschen sprechen, von einem süßlichen, kitschigen Humanismus auszugehen. Einem Humanismus, der wenig zu tun hat mit unserer Postmoderne, mit der digital getriebenen Selbstoptimierung und Totalverzweckung des Lebens, die wir gerade erleben.

Diese Themen kommen in Ihrem Roman vor?

Ich glaube, die katholische Sicht auf diese Themen spielt in meinem Buch eine große Rolle. Chesterton hat einmal gesagt: die Moral eines Schriftstellers ist nicht jene, die er darstellt, sondern jene, die er stillschweigend voraussetzt. Das trifft wohl auch auf mich zu.

Sie skizzieren die Figuren etwas flapsig, auch Nathalie, von deren „lachsfarbenem Höschen“ viel die Rede ist. Als wären sie alle, auch die „Guten“, etwas verwirrt in einer verwirrenden, chaotischen Welt.

Ja, die Handlung ist verrückt, weil wir in verrückten Zeiten leben. Ich dachte beim Schreiben manchmal an Kafka auf LSD. Oder so ähnlich. Und Nathalie! Leidenschaftlich setzt sie alles aufs Spiel, nur für einen Mann, und sie möchte sogar Kinder von ihm. Heutzutage ist das geradezu revolutionär! Ich liebe auch meine bösen Figuren. Die Schurken machen beim Schreiben besonders Spaß. Und in diesem Fall ist die lockere Sprache wohl dem komödiantischen Genre geschuldet.

Können Katholiken von Naturvölkern und esoterischen Gruppen, wie Sie sie in Ihrem Buch persiflieren, etwas lernen? Verbindet das Urwissen der Menschheit miteinander?

Die Geheimlogen und Gruppen, die ich persifliere, sind gnostisch. Sie finden die Schöpfung und vor allem die Menschen missraten und glauben, wie die meisten Esoteriker, an Selbsterlösung durch Selbstvergottung. Oder es handelt sich um magisch denkende Gruppen, also um Abergläubische. Was können wir von ihnen lernen? Ich persönlich würde an Benedikt XVI. erinnern und sagen: Glaube und Vernunft gehören zusammen. Ohne Vernunft wird der Glaube blind, fanatisch. Ohne Glaube wird die Vernunft kalt, unmenschlich.

Giuseppe Gracia. Der Tod ist ein Kommunist: Ein Fiebertraum. fontis Verlag 2021, 128 Seiten, ISBN 9783038482178, EUR 15,-


Quelle: https://www.die-tagespost.de/kultur/feuilleton/wir-leben-in-verrueckten-zeiten-art-219111

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