Freiheit gegen „neue Moral“ verteidigen
(Die Tagespost – Literatur – 31.03.2022, Seite 24)
Die neuen gesellschaftlichen Bewegungen in der westlichen Welt schaffen Spaltung und Diskriminierungen – so Giuseppe Gracia in seinem neuen Buch. Und: Sie wollen das Christentum als Grundlage der Gesellschaft verdrängen
von José Garcia
Fridays for Future, Black Lives Matter, #MeToo, Critical Race Theory. Innerhalb weniger Jahre haben sich englischsprachige Begriffe in der ganzen westlichen Welt verbreitet, die für verschiedene neue oder neu aufgelegte Anliegen und Bewegungen stehen. Rettung des Planeten gegen den Klimawandel, Kampf gegen Rassismus und sexuelle Ausnutzung dank Machtstellung, Schutz von Minderheiten und insbesondere der sogenannten LGBTIQ*-Community. Sicherlich gut gemeinte und auch positive Entwicklungen – solange sie sich nicht ins Gegenteil verkehren, und zu neuen Diskriminierungen führen.
Genau an diesem Punkt setzt der Schweizer Publizist Giuseppe Gracia mit seinem neuen Buch „Die Utopia-Methode. Der neue Kulturkampf gegen Freiheit und Christentum“ an. Der Untertitel spielt auf das an, was der Autor „Kulturkämpfer 2.0“ nennt. Sein Fazit: „Immer mehr politische Bewegungen und Gruppen wollen die Freiheiten einschränken oder ganz abschaffen – im Namen einer neuen, kollektiven Moral, die in Zukunft über der Freiheit des Einzelnen stehen soll. Eine Moral im Namen von Anti-Diskriminierung, Anti-Rassismus, Anti-Faschismus und Klimaschutz.“
Solchen Bewegungen gemeinsam ist, dass sie die westliche Kultur „systemisch“ für „rassistisch-imperialistisch-frauenfeindlich“ hielten. Für „umweltschädlich, transphob, islamophob und so weiter“. Ein weiteres Kennzeichen dieser neuen Entwicklung: „Sie haben ein Problem mit dem Christentum“ – nicht mit Religionen insge- samt, sondern mit „dem traditionellen Christentum, das die weltanschaulich-moralische Grundlage des Abendlandes bil det.“
Die westliche Zivilisation soll überwunden werden
Sind all diese insbesondere an den Universitäten der Vereinigten Staaten entstandenen Erscheinungen eigentlich nichts Neues, so nimmt sich besonders aufschlussreich aus, dass Gracia sie als Ausfluss einer „Utopia-Methode“ darstellt. Der Autor fragt sich, wie es möglich ist, „dass heute mehr und mehr antiwestliche Ideologien das westliche Kulturschaffen dominieren“, wenn der Westen „nicht nur den größten Massenwohlstand der Geschichte hervorgebracht hat, sondern auch den größten Grad an gesellschaftlicher Freiheit“? Giuseppe Gracias Antwort: Die vorgefundene und zu kritisierende westliche Realität werde nicht mit anderen Gesellschaften, etwa in sozialistischen, kommunistischen oder islamischen Ländern, sondern „mit einem Wunschbild“ verglichen, „das nirgends real existiert, sondern nur dazu dient, Fundamentalkritik zu legitimieren“.
Durch seine treffende Deutung, dass der neue Klassenkampf nicht mehr zwischen Arbeit und Kapital stattfinde, „sondern zwischen Identitäten, zwischen äußerlichen Merkmalen und Lebensentwürfen“, zeigt der Autor das Paradoxon von Bewegungen, die gegen das Unrecht kämpfen und dadurch neues Unrecht in Form von Spaltung der Gesellschaft und neuen Diskriminierungen schaffen: „Bewertung von Menschen nach Hautfarbe und Rasse. Nach Geschlecht. Nach sexueller Orientierung. Weiße sind out. Schwarze, Latinos, Asiaten sind in. Männer sind out. Frauen sind in. Heterosexuelle sind out. Alle anderen sind in.“
Die westliche Zivilisation solle überwunden werden: „Philosophie, Rechtsprechung oder wissenschaftliche Rationalität sollen ersetzt werden durch Ideologie und gefühlte Realitäten. Und auch die christliche Religion muss verschwinden, mitsamt den jüdischen Wurzeln, denn diese stehen für eine veraltete Vorstellung des Menschen.“ Ebenso neu definiert und neu verteilt werden soll die Freiheit. Christliches Menschenbild oder ein klassisch liberales Verständnis der Selbstverantwortung würden als fortschrittsfeindlich und gefährlich angesehen.
Passend dazu sei „die Relativierung und Demontage der klassischen Familie“, die „kein mediales Gewicht mehr haben darf“, sowie dass es „salonfähig“ geworden sei, „die Menschheit für missraten zu halten“. Es sei nicht Mode, „im Menschen etwas
Höheres, Gottberufenes zu sehen“. Einerseits würden Pflanzen- und Tierarten geschützt, man setze sich „natürlich für das Klima“ ein, andererseits „aber nicht für das werdende menschliche Leben“. Ja, es geht noch weiter: „Viele betrachten heute schon den Wunsch, Kinder in die Welt zu setzen, skeptisch, und sei es nur aus Gründen des Klimaschutzes.“
Warum soll es ohne Christentum besser sein?
Allerdings hat Gracia offensichtlich nicht eine Antwort auf alle Fragen, die er in seinem Buch stellt. Wenn er beispielsweise fragt: „Woher kommt die Auffassung, dass das Verschwinden des Christentums für eine gute, moderne Gesellschaft nicht nur unproblematisch, sondern sogar notwendig ist? Dass es für Rechtsstaatlichkeit oder Nächstenliebe überhaupt keine Religion braucht?“, dann kann er nur sein Staunen darüber äußern, denn „die Menschenrechte werden nur in jenen Gebieten der Erde anerkannt und vom Staat ernst genommen, wo Judentum oder Christentum eine wesentliche Rolle gespielt haben. Nicht in China, nicht in Nordkorea, nicht in muslimisch geprägten Staaten“.
Dennoch: Giuseppe Gracias inhaltsreiche Diagnose bietet eine prägnante Erklärung der Entwicklungen, die heute den sogenannten Mainstream bestimmen – sie gibt aber auch einige Hinweise an die Hand, um dem entgegenzuwirken, um die Freiheit und die Grundlagen unserer Zivilisation in den verschiedenen Bereichen zu verteidigen.
Giuseppe Gracia: Die Utopia-Methode. Der neue Kulturkampf gegen Freiheit und Christentum. Fontis Verlag, Basel 2022, 96 Seiten. ISBN/EAN 9-783-03848236-9, EUR 9,90